Während noch Mitte September Gas-Futures in der EU für das nächste Jahr durchschnittlich bei rund 200 Euro pro Megawattstunde lagen, sind es jetzt nur noch rund 130 Euro pro Megawattstunde. Der spürbare Preisverfall ist auf die Entspannung der Marktlage in der EU zurückzuführen, die Ende August panische Anzeichen zeigte.
Grund für die Ruhe sind extrem heißes Wetter im Oktober, überfüllte Lagertanks in der gesamten EU, der schnelle Bau neuer Terminals zur Verarbeitung von Flüssiggas, insbesondere in Deutschland, und ein spürbarer Rückgang des Verbrauchs. Sowohl auf Ebene der Haushalte als auch auf Ebene von Unternehmen und Großunternehmen wie Stahlwerken oder Zementwerken sinkt der Verbrauch, gleichzeitig verlieren sie aber an Wettbewerbsfähigkeit.
Bei bestimmten kurzfristigen Verträgen an der niederländischen Gasbörse, deren Preise für ganz Europa entscheidend sind, sind die Gaspreise zeitweise ins Negative gerutscht. Es ist eine ziemlich außergewöhnliche Sache.
Und dies sowohl unter normalen Bedingungen als auch unter den sehr anspruchsvollen Bedingungen dieses Jahres in der EU, wo noch vor drei Monaten viele Experten davor gewarnt haben, dass dem alten Kontinent eine Gaskrise ohne vorherige Gefahr bevorstehe. Ein negativer Gaspreis bedeutet, dass Gashändler bereit sind, Kunden für die Gasentnahme zu bezahlen, weil sie selbst keinen Platz mehr haben, um das gekaufte Gas zu lagern.
Während Europa also ein Gas hat, mit dem es buchstäblich nichts anzufangen weiß, beraubt sich Russland zunehmend Güter wie Kühlschränke, Waschmaschinen oder auch Milchpumpen. Es stellt sich heraus, dass Russland zwar ein Rohstoffkraftwerk ist, Europa aber über die Technologie verfügt – und Europa kann anderswo leichter an Rohstoffe kommen als Russland an Technologie.
EU-Beamte teilen zunehmend den Verdacht, dass Russland versucht, sich einen Teil seiner Technologie durch „Schmuggel“ durch Länder wie Armenien oder Kasachstan zu beschaffen. Nach der Verhängung westlicher Sanktionen gegen Russland nach dessen Einmarsch in die Ukraine ist die Zahl der Kühlschränke, Waschmaschinen oder gar Milchpumpen, die Armenien und Kasachstan aus der EU importieren, verdächtig gestiegen.
Obwohl die Geburtenrate in Armenien sinkt, importiert das Land heute deutlich mehr Milchpumpen aus der EU als noch vor einem Jahr. Kasachstan oder Armenien verkaufen offensichtlich die an Russland gelieferten Waren vor. Dort werden Waschmaschinen, Kühlschränke oder Milchpumpen und ähnliche Waren nicht nur für zivile Zwecke verkauft.
Experten zufolge dient das Teil nach der Demontage als Quelle für Komponenten für einfachere militärische Ausrüstung. Die Russen bekommen zum Beispiel Chips von Haushaltsgeräten und Geräten, die sie militärisch nutzen können. Das russische „Armeebasteln“, bei dem nach westlichen Vertretern Teile von Waschmaschinen in russischen Tänzen landen, verdeutlicht genau, wie westliche Sanktionen die russische Wirtschaft nach und nach zerstören.
Sicherlich mehr, als dass die Kürzung oder Einstellung russischer Energielieferungen Europa zerstört. Für Russland rückt die Aussicht auf einen Triumph im Wirtschaftskrieg mit der EU einfach immer weiter in die Ferne. Ja, das ist richtig, bisher ist das alles nur ein Konto ohne Gastwirt. Nach diesem Winter werden wir klüger sein. Allerdings entwickelt sich der Start der Heizsaison in der EU günstiger als erwartet… Das steht nun fest.
Der Autor ist Chefökonom der Trinity Bank
(redaktionell bearbeitet)
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