Botschafter, Deutschland ist kürzlich für die Haltung der Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz gegenüber Russland kritisiert worden, und einige Verbündete – Polen und die baltischen Staaten – haben die Zuverlässigkeit Berlins offen in Frage gestellt. Was würden Sie ihnen sagen?
Die Position der Bundesregierung ist klar, berechenbar und verlässlich. Jeden Tag arbeiten wir daran, die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine zu schützen – Hand in Hand mit den Vereinigten Staaten, innerhalb der NATO, der EU, der G7 und mit Frankreich im Rahmen des sogenannten normannischen Formats, in dem Russland und die Ukraine sitzen gleichzeitig am Tisch.
Wir verfolgen einen zweigleisigen Ansatz. Einerseits sind wir offen für einen ernsthaften Dialog mit Russland auf der Grundlage des Völkerrechts und der Achtung des Selbstbestimmungsrechts aller Nationen. Andererseits sind wir bereit, drastische Sanktionen einzuführen. Ich kann guten Gewissens sagen, dass wir bei Sanktionen eine sehr harte Linie verfolgen. Bundeskanzler Scholz hat wiederholt betont, dass eine militärische Aggression, die die territoriale Integrität der Ukraine gefährden würde, kostspielig wäre.
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Europa
Das Kostbarste, was wir haben, ist die Einheit. Die Bundesregierung hat sich in den vergangenen Jahren und Wochen mit aller Kraft dafür eingesetzt, innerhalb der Europäischen Union eine Einigung darüber zu erzielen, welche Sanktionen wir im Falle einer russischen Aggression verhängen müssten.
In diesem Zusammenhang ist es besonders wichtig, dass wir nicht mit den vielen Fehlinformationen konfrontiert werden, die einige der interessierten Parteien verbreiten. Ich würde einen solchen Mythos gleich erwähnen – wir haben Flüge über Deutschland mit Lieferungen in die Ukraine nicht abgelehnt. Wer solche Falschinformationen verbreitet, versucht die Einheit von EU und Nato zu gefährden und einen Keil zwischen uns zu treiben. Das sind Mechanismen, die wir nur allzu gut aus den vergangenen Jahrzehnten kennen.
Kritiker sagen, die Weigerung Deutschlands, die Ukraine zu bewaffnen oder es seinen Verbündeten zu erlauben, verrate ein Missverständnis des Begriffs der Abschreckung. Sie weisen darauf hin, dass deutsche Waffen beispielsweise nach Ägypten fließen. Halten Sie diese Kritik für berechtigt?
Wie Außenminister Baerbock vergangene Woche noch einmal betonte, hat jeder Staat das Recht, sich zu verteidigen. Es gibt viele verschiedene Wege zu diesem Ziel. Natürlich respektieren wir den Wunsch der Ukraine, in dieser sehr schwierigen Zeit mehr Waffen zu erwerben.
Die Bundesregierung setzt sich seit Jahren für eine Lösung des Konflikts in der Ostukraine im Normandie-Format ein und hat ihre Bemühungen in den vergangenen Wochen verstärkt. Lieferungen tödlicher deutscher Waffen könnten unsere Rolle in der aktuellen Situation erschweren. Der Zusammenhalt innerhalb der NATO und der EU bleibt unser mächtigstes Instrument, um aus einer rein militärischen Logik herauszukommen. Je umfassender und härter die Sanktionen sind, die wir im Falle einer militärischen Aggression einführen würden, desto größer wäre ihre abschreckende Wirkung.
Neben Kiew wirft Polen vor allem Deutschland vor, taub zu sein gegenüber Nord Stream 2, der fertiggestellten, aber noch nicht genehmigten Gaspipeline zwischen Russland und der Bundesrepublik. Sie umgeht die Ukraine, entzieht ihr Einfluss und Einkommen und legt den Hebel der Macht wieder in die Hände des Kremls.
Letzten Sommer haben wir eine gemeinsame Erklärung mit den Vereinigten Staaten unterzeichnet, in der es klar heißt, dass es teuer bezahlen wird, wenn Russland Energielieferungen als Waffe einsetzt oder die Souveränität der Ukraine verletzt.
Wir stehen hier auf der Seite der US-Regierung. Bundeskanzler Scholz und Außenminister Baerbock haben wiederholt darauf hingewiesen, dass dies auch für Nord Stream 2 gilt. Die vorgenannte gemeinsame Erklärung ist für uns selbstverständlich bindend.
Die Ukraine verbirgt ihre rasenden Emotionen nicht. Kiews Bürgermeister Witali Klitschko spricht von Verrat, die Frau des Ex-Präsidenten hat einen Boykott deutscher Autos vorgeschlagen und der ukrainische Botschafter hat das ZDF Berlin aufgefordert, „aufzuwachen und zu erkennen, dass wir der größten Bedrohung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ausgesetzt sind. Die Empörung ist verständlich – oder nicht?
In der aktuellen Situation verstehe ich diese Emotionen sehr gut. Umso wichtiger ist die äußerst vorsichtige Haltung der politischen Entscheidungsträger in Kiew. Deutschland – und das möchte ich hier besonders betonen – steht seit vielen Jahren fest auf der Seite der Ukraine. Wir haben die völkerrechtswidrige Annexion der Krim nie akzeptiert, und wir betonen in allen internationalen Foren, von der OSZE bis zum UN-Sicherheitsrat, dass Russlands Vorgehen auf der Krim und im Donbass eine inakzeptable Aggression darstellt.
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Gleichzeitig unterstützen wir die Ukraine mit aller Kraft dabei, eine widerstandsfähige und gut funktionierende Marktwirtschaft zu werden. Wir sind seit vielen Jahren der größte bilaterale Geber der Ukraine. Seit 2014 haben wir dieses Land mit mehr als zwei Milliarden Euro unterstützt. Zusammen mit den Vereinigten Staaten sind wir auch der größte Geber humanitärer Hilfe. Deutschland ist zudem einer der wichtigsten entwicklungspolitischen Partner der Ukraine. Im November vergangenen Jahres haben wir gemeinsame Entwicklungsprojekte im Wert von fast 100 Millionen Euro vereinbart. Wir leisten langfristige Hilfe, die weniger wahrgenommen wird als kurzfristige Versorgung.
Wir folgen der Grundidee, dass die äußere Sicherheit der Ukraine in direktem Zusammenhang mit ihrer inneren Sicherheit, dem Wohlergehen und der Zufriedenheit ihrer Bürger mit dem ukrainischen Staat steht. Eine auf diese Weise wohlhabende und innerlich gefestigte Ukraine kann einer Aggression lange standhalten.
Die Zeitung „Die Welt“ schrieb, Berlin strebe ein Gleichgewicht an, indem es Sanktionsdrohungen ausspreche, die zwar wirksam seien, aber den Konflikt nicht eskalieren und Moskau die Tür zuschlagen würden. Mit anderen Worten: Es fördert das Handeln. Ist es realistisch?
Die Lage ist ernst. Dies wird von der Bundeskanzlerin und dem Außenminister immer wieder betont. Deshalb erklären wir sehr anschaulich, was im Falle eines Angriffs passieren würde. Und wir tun alles, um die aktuelle Eskalation durch Gespräche und Verhandlungen zu überwinden. Wir tun dies mit den Vereinigten Staaten und unseren anderen Verbündeten.
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Außenminister Baerbock drückte dies im Bundestag so aus: „Ja, wir wollen weiterhin den Dialog, aber angesichts der aktuellen Lage brauchen wir auch Festigkeit, die deutlich macht, dass die Gleichberechtigung souveräner Staaten und die Grundpfeiler der europäischen Friedensordnung nicht sein können verhandelt.“ Kurzum, ein zweigleisiger Ansatz aus Dialog und Konsequenz erscheint uns als einzig realistischer Ausweg aus der aktuellen Eskalationsspirale.